BIOGRAFIE

Der Lebensweg des Künstlers

Die wichtige Schaffensperiode Kirchners auf Fehmarn war in der Öffentlichkeit bis zur Gründung des ERNST LUDWIG KIRCHNER VEREINS FEHMARN im Jahr 1992 nahezu unbekannt. Der Verein machte es sich zur Aufgabe, die Spuren – die dieser Künstler auf der Insel hinterließ – aufzuspüren, zu sichern und zu dokumentieren.

Kirchner-Dauerausstellung - Dokumentation in Burg auf Fehmarn

„ Ich muss zeichnen bis zur Raserei, nur zeichnen. Nur arbeiten, arbeiten und an sonst nichts denken …“

1880 – 1898

Auf dem Weg zum Künstler

1880

Geboren am 6. Mai in Aschaffenburg; Eltern sind Ernst Kirchner (1847-1921) und Maria Elise Franke (1851-1928).

1882

Geburt des Bruders Hans Walter (1882-1954).

1886

Umzug der Familie nach Frankfurt am Main, dann 1887 nach Perlen bei Luzern.

1888

Geburt des Bruders Ulrich (1888-1950).

1890

Übersiedlung nach Chemnitz, wohin der Vater Kirchners als Professor für Papierwissenschaft berufen wurde. Eintritt Kirchners in das Realgymnasium.

1898

Erste Überlegungen, Künstler zu werden.

1901 – 1914

Dresden und Die Brücke

1901

Kirchner besteht am 29. März die Reifeprüfung in Chemnitz.

1901-05

Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Dresden.

1903

Nach Erwerb des Vordiploms ein Semester Kunststudium in München bei den Professoren Wilhelm von Debschitz (1871-1948) und Hermann Obrist (1862-1927). An der privaten Versuchs- und Lehranstalt für Angewandte und Freie Kunst belegte er Kompositionslehre und Aktzeichnen. Besuch der 8. Ausstellung der Münchner Künstlergruppe Phalanx; dort sieht er Werke unter anderem von Kandinsky, Seurat, Signac und Cross. Im Oktober Studienreise nach Nürnberg, wo er im Germanischen Nationalmuseum die Originaldruckstöcke Albrecht Dürers bewundert.

1904

Rückkehr nach Dresden. Erste malerische Versuche, die noch dem Jugendstil verhaftet sind. Im Sommer zusammen mit seinem Kommilitonen Fritz Bleyl (1880-1966) erste Ausflüge zur Seenlandschaft um das Barockschloss Moritzburg bei Dresden. Bekanntschaft mit Erich Heckel (1883-1970).

1905

Nach Abschluss des Studiums als Diplomingenieur am 5. Juni Gründung der Künstlergemeinschaft Brücke mit den Kommilitonen Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) und Fritz Bleyl. Beginn der «Viertelstundenakte», der Zeichnungen nach Aktmodellen im Atelier oder in der Natur. Erste Holzschnitte. Kirchner übernimmt im September das Atelier Heckels in der Berliner Strasse 60. Im November erste Ausstellung der Brücke in der Kunsthandlung P.H. Beyer und Sohn in Leipzig. Freundschaft mit der Varietétänzerin Line, der «ersten Frau» Kirchners. Sein malerischer Stil ist noch der postimpressionistischen Schule verbunden.

1906

Die Brücke formuliert ihr Programm, das sowohl als typographische Anzeige wie auch als Holzschnitt Kirchners veröffentlicht wird. Wanderausstellung der Brücke, vor allem mit Zeichnungen, Aquarellen und Holzschnitten. Im Oktober grosse Ausstellung von Gemälden in der Lampenfabrik von Karl-Max Seifert in Dresden-Löbtau. Öffnung der Brücke für Passivmitglieder, die gegen einen Jahresbeitrag die von den Künstlern gestalteten Mitgliedskarten, Jahresberichte und gegen Ende des jeweiligen Jahres eine Mappe mit graphischen Arbeiten erhielten. Der Schweizer Maler Cuno Amiet (1868-1961) und der wesentlich ältere Emil Nolde (1867-1956) sowie Max Pechstein (1881-1955) werden Aktivmitglieder. Kirchner arbeitet an den Moritzburger Seen. Er fertigt die ersten Radierungen und Lithographien. Die ersten plastischen Arbeiten, meist kleinformatige Steinplastiken, entstehen.

1907

Kirchner schneidet das erste Mitgliederverzeichnis der Brücke in Holz. Das erste gemalte Selbstbildnis mit Pfeife entsteht (G 24). Vom 1. bis 21. September Ausstellung der KG Brücke im Kunstsalon Emil Richter in Dresden.

 1908

Im Januar Einzelausstellung zusammen mit Karl Schmidt-Rottluff im Kunstsalon August Dörbrandt in Braunschweig. Im Mai Besuch der Van-Gogh-Ausstellung mit über 100 Gemälden im Kunstsalon Richter.

Erster Aufenthalt auf Fehmarn, in Begleitung der Geschwister Hans und Emy Frisch (1884- 1975), der späteren Ehefrau von Karl Schmidt-Rottluff, von der Kirchner die Photographie erlernte. Der holländische Maler Kees van Dongen (1877-1968) wird Mitglied der Brücke. Vom 1. bis 23. September Ausstellung der KG Brücke im Kunstsalon Richter. Erste Zirkus- und Varietébilder entstehen, darunter der Schimmeldressurakt (G 54).

1909

Im Januar Besuch der Matisse-Ausstellung in der Galerie von Paul Cassirer (1871-1926) in Berlin. Am 12. Juni Eröffnung der grossen Brücke-Ausstellung im Kunstsalon Richter in Dresden. Doris Grosse (Dodo; 1884 – nach 1936), Modistin aus Dresden, wird Kirchners Modell und Geliebte. Erster längerer Aufenthalt an den Moritzburger Seen bei Dresden. Fränzi Fehrmann (1900-1950) wird zum bedeutendsten Modell der Brücke. Zahlreiche Akt- und Tanzbilder entstehen. Im November Besuch einer umfangreichen Cézanne-Ausstellung in der Galerie Paul Cassirer in Berlin.

Lina Franziska Fehrmann und Peter 1910 auf einer Fotografie von Ernst Ludwig Kirchner; Heckel wiederholte das Motiv in seinem Gemälde Kinder (auf der Bank) aus dem Jahr 1910

1910

Kirchner tritt der Neuen Secession in Berlin bei; Max Pechstein ist zu jener Zeit Präsident dieser Künstlervereinigung. Im Mai lernt Kirchner den Maler Otto Mueller (1874-1930) kennen, der Mitglied der Brücke wird. Im September Eröffnung der Ausstellung Künstlergruppe Brücke in der Galerie Arnold in Dresden. Im Sommer an den Moritzburger Seen, zusammen mit Heckel und Pechstein und den beiden Mädchen Fränzi und Marzella. Zwei Gemälde leiten die Werkreihe Maler und Modell ein (G 120 und G 121). Im September erscheint zur Brücke-Ausstellung in der Galerie Arnold ein mit 20 Holzschnitten illustrierter Katalog. Im Oktober Besuch bei dem Landgerichtsdirektor und Kunstsammler Gustav Schiefler (1857-1935) und der mit Karl Schmidt- Rottluff befreundeten Kunsthistorikerin Rosa Schapire (1874-1954) in Hamburg. Beginn der Korrespondenz mit Karl-Ernst Osthaus (1874-1921), dem Begründer des Museum Folkwang in Hagen. Unter dem Eindruck der italienischen Futuristen verändert sich der Malstil der Brücke; er wird «härter». Angeregt von seinen Besuchen im Dresdner Völkerkundemuseum haut und schneidet Kirchner Holzplastiken.

1911

Letzter Aufenthalt an den Moritzburger Seen. Im Februar/März grosse Brücke-Ausstellung im Kunstverein Jena. Im Gefolge von Erich Heckel und Max Pechstein im Oktober Übersiedlung nach Berlin (Atelier und Wohnung: Durlacher Strasse/Berlin-Wilmersdorf). Gründung des erfolglosen MUIM-Instituts (Moderner Unterricht in Malerei) zusammen mit Pechstein. Einzige Schüler sind Hermann Gewecke und Werner Gothein (1890-1968). Kontakte zum Literatenkreis Neuer Club (Kurt Hiller, Erwin Loewenson, Jacob van Hoddis), der seit Juni 1910 in dem Neopathetischen Cabarett öffentliche Vorträge und Rezitationsabende veranstaltet.

Die Zeitschrift Der Sturm (hg. von Herwarth Walden) veröffentlicht vom Juli 1911 bis März 1912 10 Holzschnitte Kirchners. Bekanntschaft mit Wilhelm Simon Guttmann, einem Schriftsteller und Begründer der Literaturzeitschrift Neue Weltbühne (1910). Kirchner löst sich vom gemeinsamen Brücke-Stil; der Farbauftrag wird differenzierter; die Palette konzentriert sich auf gebrochene Farbtöne.

1912

Neue Freundin des Künstlers wird Gerda Schilling (1893-1923). Pechstein wird aus der Brücke ausgeschlossen. Intensiver Austausch zwischen der Künstlergruppe Blauer Reiter und der Brücke; im Februar Beteiligung an der Ausstellung Blauer Reiter in der Galerie Hans Goltz in München. Im April findet eine grosse Brücke-Ausstellung in der Berliner Galerie Fritz Gurlitt statt; im August/September wird diese Ausstellung in der Galerie Commeter in Hamburg gezeigt. Im Rahmen der Sonderbund-Ausstellung in Köln malen Kirchner und Heckel die dortige Kapelle aus. Dort sieht er die Plastiken Wilhelm Lehmbrucks (1881-1919), die sein Menschenbild beeinflussen.

Im Sommer wird Erna Schilling (1884-1945), die Schwester Gerdas, Kirchners Lebenspartnerin. Zweiter Sommeraufenthalt auf der Insel Fehmarn in Begleitung von Erna und Besuch von Erich Heckel und dessen Freundin Sidi Riha. Der Dichter und praktizierende Psychiater Alfred Döblin (1878-1957) besucht Kirchner um die Jahreswende in seinem Berliner Atelier. Die Stadtansichten aus der Metropole Berlin nehmen einen breiten Raum im Werk Kirchners ein; es entstehen Hauptwerke wie der Nollendorfplatz (G 291)

1913

Kirchner verfasst die Chronik der KG Brücke. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über diese Schrift löst sich die Gruppe am 27. Mai auf. Einzelausstellung von Kirchner im Museum Folkwang in Hagen, die von Karl-Ernst Osthaus vermittelt wurde. Ende des Jahres Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt in Berlin. Nach einem Aufenthalt auf Fehmarn, in Begleitung von Hans Gewecke, Werner Gothein und Erna Schilling malt Kirchner das erste Selbstbildnis mit Erna, das Turmzimmer (G 312). Besuch des Malers Otto Mueller und seiner Frau Maschka auf Fehmarn. In Berlin entstehen wichtige Strassenbilder. Kirchner illustriert Alfred Döblins Novelle Das Stiftsfräulein und der Tod, die 1914 in Berlin publiziert wird.

1914

Von Februar bis März bedeutende Einzelausstellung im Kunstverein Jena. Freundschaft mit dem Archäologen Botho Graef (1857-1917), dessen Freund Hugo Biallowons (1879-1916) und dem Philosophen Eberhard Grisebach (1880-1945). Kirchner gestaltet für den Kölner Tabakhändler Feinhals dessen Stand auf der Werkbund-Ausstellung in Köln. Bekanntschaft mit Henry van de Velde (1863-1957), dem Leiter der Weimarer Kunstgewerbeschule. Vom Fenster seines neuen Berliner Ateliers (Körnerstrasse 45, Berlin-Friedenau) aus malt Kirchner die urbane Landschaft, deren Arterien die Eisenbahntrassen und -brücken darstellen (G 378 bis 381). Das Mobiliar dieses Ateliers gestaltet Kirchner teilweise selbst. Erna fertigt nach den Entwürfen Kirchners Stickereien. Die wichtigen Selbstbildnisse jenes Jahres (G 393, 412, 417, 421) belegen die zunehmenden Ängste, die Kirchner angesichts des Ausbruchs des I. Weltkrieges und seiner drohenden Einberufung plagen. Er verbringt zusammen mit Erna bis zum Kriegsausbruch einen letzten Sommer auf Fehmarn, das zur strategisch wichtigen Zone erklärt wird. Starker Konsum von Absinth.

1915 – 1918

Kriegsjahre

1915

Kirchner meldet sich «unfreiwillig freiwillig» – in der Hoffnung, die Waffengattung wählen zu können – zum Militär. Einberufung zur Mansfelder Feldartillerie in Halle an der Saale. Im September durch Intervention seines Reitlehrers, Prof. Hans Fehr (1874-1961), wegen einer psychischen Erkrankung vorläufig aus dem Dienst entlassen. Anfang November wird er bis zu einer möglichen Genesung dienstuntauglich geschrieben. Nach dem 15. Dezember Abreise in das Sanatorium Dr. Kohnstamm, Königstein im Taunus. In den Selbstbildnissen dieser Jahre (Der Trinker, G 428, und Selbstbildnis als Soldat, G 435), die zu den bekanntesten Künstlerselbstbildnissen der klassischen Moderne zählen, spiegelt sich die existentielle Verzweiflung des Künstlers. Dr. Carl Hagemann (1867-1940), ein Chemiker und später Direktor der I.G. Farben, wird zu einem der wichtigsten Sammler Kirchners. Trotz der Behinderung durch Kriegsdienst und Krankheit beginnt Kirchner mit grossformatigen Gemälden, darunter das Triptychon der Badenden Frauen (um 1925 überarbeitet; G 440a-c).

1916

Aufenthalt in verschiedenen Sanatorien in Berlin und in Königstein. In Königstein Wandmalereien im Brunnenturm des Sanatoriums. Keine Besserung des Gesundheitszustandes. Diagnose von Dr. Oskar Kohnstamm (1871-1917), dem Leiter des Sanatoriums: Abhängigkeit von Veronal, einem Schlafmittel, im Verein mit Alkoholsucht und einer vorerst leichten Morphiumabhängigkeit. In Königstein Bekanntschaft mit dem Komponisten Otto Klemperer (1885-1973) und dem Schriftsteller Carl Sternheim (1878-1942). Die Landschaftsbilder und Porträts jenes Jahres gehören gerade aufgrund der nervösen Handschrift zu den Höhepunkten im Schaffen Kirchners: Bildnis Dr. Kohnstamm (G 458) und Königstein mit roter Kirche (G 467). In den Skizzenbüchern der Jahre 1915/1916 finden sich sehr viele Studien nach Alten Meistern.

Ernst Ludwig Kirchner in einem Brief an Carl Hagemann, 14.10.1917

„ Ich bin vollständig unfähig, infolge der Lähmung der Hände und Füße selbst irgend etwas zu tun. Dabei sehe ich so viel Interessantes und tausend Bilder, die ich malen könnte und doch nicht kann, und das macht mich sehr unglücklich.“

1917

Vom 19. Januar bis 4. Februar durch Vermittlung von Eberhard Grisebach erster Aufenthalt in Davos. Bekanntschaft mit der Arztfamilie Spengler, deren Tochter Lotte Spengler die Ehefrau von Grisebach war. Nach überhasteter Abreise Rückkehr nach Berlin. Ende Februar Eröffnung einer Kirchner-Ausstellung im Kunstverein Jena. Am 9. April stirbt der Freund und Mentor Botho Graef an Herzschlag. Henry van de Velde, der in Deutschland als «feindlicher Ausländer» gilt, lässt Kirchner wissen, dass er in der Schweiz (in Uttwil) die Neugründung einer Gewerbeschule plant. Am 6. Mai zweite Reise nach Davos. Im Sommer zusammen mit der Pflegeschwester Hedwig Einzug in die Rüeschhütte auf der Stafelalp. Ende August Besuch von van de Velde auf der Stafelalp. Ab 15. September hält sich Kirchner auf Anraten Henry van de Veldes im Sanatorium Bellevue bei Dr. Ludwig Binswanger (1881-1966) in Kreuzlingen auf. Dort Bekanntschaft mit dem Winterthurer Sammler Georg Reinhart und dem Dichter Leonhard Frank (1882-1961). Erna Schilling bleibt in Berlin und kümmert sich um die geschäftlichen und persönlichen Kontakte. Der Künstler, der an Lähmungen seiner Gliedmassen und Bewusstseinsstörungen leidet, fertigt vor allem druckgraphische Blätter und Zeichnungen.

1918

In Kreuzlingen Bekanntschaft mit Nele van de Velde (1897-1965). Im März/April Teilnahme an einer Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Im Mai errichtet Kirchner im Andenken an Botho Graef für den Jenaer Kunstverein die Botho-Graef-Stiftung, eine Schenkung von über 250 Blatt Druckgraphik und Zeichnungen. Ab 15. Juli wieder in Davos, in Begleitung des Pflegers Emil Brüllmann (= Brühlmann; 1893-1937). Besuche von Grisebach und van de Velde. Kirchner bewohnt ab dem 20. September ein Haus der Hofgruppe In den Lärchen in Davos Frauenkirch. Am 13. Oktober erhält er die Niederlassungsbewilligung in Davos. Kirchner beginnt mit der skulpturalen Ausstattung des Hauses. Er malt eine Reihe von Alpenlandschaften, die in ihrer ekstatischen Farbigkeit zu den Hauptwerken dieser Jahre gehören. Im Herbst 1918 schreibt er das Glaubensbekenntnis eines Malers.

Ab 1919

In den Alpen

1919

Weiterführung der Kontakte zu deutschen Sammlern und Galeristen. Im Januar erste Sendungen aus Berlin, darunter die Druckerpresse und einige Teppiche. Entwürfe für Stickereien für Erna und Lene Spengler, ab 1921 auch für Lise und Gret Gujer. Ab dem 5. Juli führt Kirchner ein Tagebuch. Den Sommer verbringt er auf der Stafelalp. Der Maler Karl Stirner (1882-1943) besucht Kirchner auf der Stafelalp. Erna sendet aus Berlin Gemälde, Druckgraphiken und Zeichnungen, um das Berliner Atelier zu räumen. Kirchner beginnt mit der teilweisen Restaurierung, aber auch Übermalung seiner frühen Bilder. Gleichzeitig malt er visionäre Landschaften wie Tinzenhorn – Zügenschlucht bei Monstein (G 578), die den für ihn neuen und überwältigenden Eindruck der Alpenlandschaft in symbolhaltigen Formen und Farben übersetzen. Neben seiner malerischen und zeichnerischen Arbeit fertigt Kirchner wieder Möbel, Relieftüren und freie plastische Arbeiten

1920

Januar/Februar: Einzelausstellung im Kunstsalon Schames in Frankfurt am Main. Erster Artikel Kirchners über das eigene Werk, veröffentlicht unter dem Pseudonym Louis de Marsalle. Das kunstschriftstellernde Alter Ego dient der «objektiven» Darstellung der künstlerischen Entwicklung Kirchners. Im Tagebuch ausführliche Notizen zur eigenen Rolle in der Geschichte der modernen Kunst. Kirchner, der ein Grammophon besitzt, veranstaltet in seinem Haus Tanzabende für seine Nachbarschaft. Erste Kontakte zu Schweizer Künstlern (Philip Bauknecht, 1884-1933, u.a.). Kulissenmalereien für ein Laientheater in Davos. Im Sommer kurzer Aufenthalt auf der Stafelalp. In graphischen Blättern und Gemälden stellt Kirchner den Alltag seiner neuen Umgebung dar. Im Dezember Einzelausstellung im Hotel Belvédère in Davos. Der holländische Maler Jan Wiegers (1893-1959), der aus Gesundheitsgründen zeitweise in Davos lebt, wird erster Schüler Kirchners. Im Oktober kommt Nele van de Velde in Begleitung ihrer Mutter Maria Sèthe für mehrere Wochen zu Besuch. Danach schnitt sie eine elfteilige Holzschnittfolge, die unter dem Titel „Ein Tag bei Kirchner auf der Staffelalp“ in der Zeitschrift Genius (Bd. 2., Berlin 1921) veröffentlicht wurde. Kirchner widmet sich neben seiner künstlerischen Arbeit der intensiven Lektüre von kunsthistorischen und kunstkritischen Schriften. Hauptwerke jenes Jahres sind Mädchen im Föhn (G 620) und Selbstporträt mit Katze (G 621).

1921

Ausstellung im Kronprinzenpalais in Berlin mit 50 Werken. Am 14. Februar stirbt Kirchners Vater. Auf einer Reise Anfang Mai nach Zürich Bekanntschaft mit der Tänzerin Nina Hard (Engelhard; 1899-1971), die im Sommer bei Kirchner wohnt und für zahlreiche Bilder Modell steht. Nach einer Tanzaufführung Ende September im Vestibül der Zürcher Heilstätte in Clavadel, für die Kirchner den Vorhang schuf, reist Nina Hard ab. Kirchner lernt den Dichter Jakob Bosshart (1862-1924) und die Weberin Lise Gujer (1893-1967) kennen. Erna Schilling bleibt jetzt dauerhaft in Davos. Vorher hat sie in einem Briefwechsel mit Edwin Redslob, seit 1920 Reichskunstwart, darum gebeten, für das Berliner Atelier Kirchners eine Finanzierung von dritter Seite zu ermöglichen. Diesem Gesuch wurde von der Berliner Atelierkommission nicht entsprochen. Kirchner arbeitet weiter an den Panoramalandschaften.

1922

Im Januar Ausstellung im Kunstsalon Schames: Schweizer Arbeit von E.L. Kirchner. Auflösung der Wohnung und des Ateliers in Berlin. Der Frankfurter Kunsthändler Ludwig Schames, einer der wichtigsten Förderer Kirchners, stirbt am 3. Juli. Erste Kontakte mit dem Davoser Sanatoriumsarzt Dr. Frédéric Bauer (1883-1957), der in den Folgejahren zu einem der wichtigsten Sammler und Mäzene Kirchners wird. Vertiefung der Bekanntschaft zu Lise Gujer, die ab 1922/23 Textilarbeiten nach Entwürfen und Bildern Kirchners fertigt. Kirchner illustriert Jakob Bossharts Novellenzyklus Neben der Heerstrasse, der Ende 1923 in Leipzig und Zürich publiziert wird. Er beginnt mit der Arbeit an den Alpsonntagen (G 711, 734, 735), den grossformatigen «Wandmalereien auf Leinwand».

1923

Nach Auseinandersetzungen mit seinem Vermieter und dem Bruch mit den Familien Spengler und Grisebach mietet Kirchner das Haus auf dem Wildboden, Davos Frauenkirch. Dr. Bauer übernimmt die ärztliche Betreuung Kirchners. Im Juni Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel. Das Ehepaar Schiefler besucht Kirchner für sechs Wochen, da Gustav Schiefler das erste Werkverzeichnis der druckgraphischen Arbeiten Kirchners erstellen will. Der Basler Maler und Plastiker Hermann Scherer (1893-1927) besucht Kirchner erstmals im August. Im Werk Kirchners stehen nun ideale und literarische Szenen gleichberechtigt neben Naturbeobachtungen. Die monumental gesehene Figur wird wichtiger.

1924

Ab Januar brieflicher Kontakt mit dem Basler Maler Albert Müller (1897-1926). Im Juni/Juli große Einzelausstellung im Kunstverein Winterthur, die in der Bevölkerung als Skandal angesehen wird. Im Juli erscheint die von Kirchner illustrierte Gedichtsammlung des expressionistischen Dichters Georg Heym (1887-1912), Umbrae Vitae. Vertiefung der Bekanntschaft mit Hans Mardersteig (1882-1977). Will Grohmann (1887-1968), ein Kunstkritiker aus Dresden, besucht mit seiner Frau den Künstler, um eine Monographie über Kirchners Zeichnungen vorzubereiten. Kirchner empfängt im Wildbodenhaus zahlreiche Besucher aus Deutschland und der Schweiz, die ihn und seine Kunst kennenlernen wollen. Im Herbst arbeitet der deutsche Maler Rolf Nesch (1893-1975) mehrere Wochen bei ihm. Im September Besuch von Edwin Redslob (1884-1973). In der Sylvesternacht 1924/25 wird von den drei Basler «Schülern» Kirchners, Paul Camenisch (1893-1970), Albert Müller und Hermann Scherer, die Künstlergruppe Rot/Blau gegründet. Der Künstler entfaltet im malerischen Werk eine thematische und formale Vielfalt, die vorher nicht zu beobachten war. Hauptwerke wie Schwarzer Kater (G 773), Vor Sonnenaufgang (G 783) oder Die Freunde (G 763) entstehen.

1925

Kirchner verfasst in seinem Tagebuch einen Essay, betitelt „Das Werk“, in dem er seinen künstlerischen Werdegang skizziert. Im April/Mai werden unter anderem die Basler Künstler, die sich auf Kirchner als Vaterfigur berufen, in der Basler Kunsthalle unter dem Titel Jüngere Basler vorgestellt. Für das Gemälde Junkerboden (1919; G 569) erhält Kirchner während der Frühjahrsausstellung in der Preussischen Akademie in Berlin den «Preis der Republik». Juni/Juli arbeiten Kirchner und Müller eng zusammen. Der Berner Maler Fritz Pauli (1891-1968) arbeitet auf dem Wildboden. Im August Besuch von Dr. Hagemann und Manfred Schames, dem Neffen von Ludwig Schames. Erste Treffen mit Julius Hembus und dessen späterer Ehefrau Elisabeth, die ab 1930 für einige Bilder Modell stehen. Im September Reise mit Müller zur Internationalen Kunstausstellung in Zürich. Im Oktober trifft Kirchner mit Dr. Bauer die Verabredung, eine umfangreiche Sammlung der eigenen Werke für den Förderer aufzubauen. Die anhaltende Beschäftigung mit den internationalen Tendenzen in der Kunst, vertreten von den Bauhauskünstlern, Pablo Picasso (1881-1973) und Le Corbusier (1887-1965) und anderen, zeitigt ihre Spuren im Werk Kirchners. Letztes großes Panoramabild der Davoser Landschaft ist Sertigtal im Herbst (G 820).

1926

Von Dezember 1925 bis März 1926 reist Kirchner erstmals wieder nach Deutschland. Überlegungen, ob ein Umzug nach Deutschland sinnvoll wäre, schließen sich der Reise an. Er besucht in Frankfurt, Chemnitz, Dresden und Berlin Freunde, Galeristen und seine Mutter. In Chemnitz nimmt er an einer Abendgesellschaft des dortigen Direktors der Städtischen Kunstsammlungen, Friedrich Schreiber-Weigand (1897-1953) teil; bei dieser Gelegenheit trifft er Schmidt-Rottluff. In Dresden trifft er die Tänzerinnen Mary Wigman (1886-1973) und Gret Palucca (1902-1993). Karl Schmidt-Rottluff, dem er in Berlin noch einmal begegnet, will eine neue Künstlervereinigung gründen. Kirchner lehnt ab. In Berlin besucht er auch Max Liebermann (1847- 1935), dessen Porträt er später aus dem Gedächtnis malt (G 840). Januar/Februar grosse Einzelausstellung im Kölnischen Kunstverein; gezeigt werden Gemälde von 1907 bis 1925. Erste Hoffnungen auf einen Kontakt zum amerikanischen Kunsthandel. Im Juni reist Kirchner zusammen mit Albert Müller nach Dresden, um dort die Internationale Kunstausstellung zu sehen. Für die Zeitschrift „Das Kunstblatt“ (hg. von Paul Westheim; 1886-1963) verfasst Kirchner einen Artikel unter dem Titel „Die neue Kunst in Basel“. Von Juli bis September arbeitet Paul Camenisch bei ihm. Der Schweizer Künstler Rudolf Zehnder (1901-1988) besucht Kirchner. Will Grohmanns „Das Werk Ernst Ludwig Kirchners“ erscheint in München. Gustav Schieflers erster Band „Das druckgraphische Werk von Ernst Ludwig Kirchner“ wird in Berlin publiziert. Am 14. Dezember stirbt Albert Müller an Typhus. Seine Ehefrau stirbt am 7. Januar 1927. Sie hinterlassen zwei Kinder, deren Adoption Kirchner kurzzeitig in Erwägung zieht. Wichtige Gemälde dieses arbeitsreichen Jahres sind Rothaarige nackte Frau (G 836), Bildnis Anna Müller (G 864) und die beiden Porträts Geiger Häusermann (G 869/870).

1927

Ende 1926/Januar 1927 kann Kirchner durch die Vermittlung des Davoser Landammanns Dr. Eberhard Branger (1881-1958; Landammann von 1920 bis 1936) und des Architekten Rudolf Gaberel (1882-1963) im Schulhaus eine Ausstellung unter dem Titel „Kirchner 10 Jahre in Davos“ zeigen. Am 16. und am 18. Februar hält der Direktor der Mannheimer Kunsthalle, Dr. Gustav Hartlaub (1884-1963) zwei Vorträge bei der Davoser Kunstgesellschaft; bei dieser Gelegenheit besucht er Kirchner. Am 13. Mai stirbt Hermann Scherer. Zwei Einzelausstellungen Kirchners in Deutschland; im Kunstverein Wiesbaden und im Kunstsalon Fides in Dresden. Juni bis Juli große Einzelausstellung der graphischen Arbeiten in der Galerie Aktuaryus in Zürich. Besuch der Böcklin-Ausstellung in der Kunsthalle Basel. Im Tagebuch notiert Kirchner zwei programmatische Aufsätze zu Farbproblemen in der Malerei und zur akademischen Ausbildung. Er wird von Gustav Hartlaub, Frau Grohmann und Gustav Schiefler besucht. Bekanntschaft mit dem deutschen Ehepaar Hansgeorg und Elfriede Knoblauch, mit dem Kirchner von 1927 bis 1938 einen intensiven Briefwechsel unterhält. Der Schweizer Künstler Hans-Rudolf Schiess (1904-1978) arbeitet für mehrere Wochen bei Kirchner. Ab September bereitet Kirchner die Gedächtnisausstellung für Albert Müller vor, die vom 9. Oktober bis zum 6. November in Basel gezeigt wird. Mit dem Direktor des neu erbauten Museums Folkwang in Essen, Dr. Ernst Gosebruch (1872- 1953), erörtert Kirchner – auf Veranlassung seines Frankfurter Sammlers Dr. Carl Hagemann – die Möglichkeit, die Wandmalereien für den Festsaal des Museums zu gestalten. Für Hagemann entwirft Kirchner einen grossen Bildteppich, betitelt „Das Leben (Kornfeld 13)“. Im Werk Kirchners werden die abstrahierenden Formreduktionen und die flächenbezogene Farbsetzung immer dominanter. Der Künstler beschäftigt sich zunehmend mit zeitgenössischen Maltheorien, deren Ergebnisse er in den «Neuen Stil», wie er die Veränderung seiner Malweise selbst nennt, einfliessen lässt. In den ersten grossformatigen Entwürfen für den Festsaal zeigt sich Kirchners retrospektive Lebenseinstellung; beispielsweise Die Vergangenheit/Die Erinnerung (G 896). Aber auch die symbolhaften Gemälde Mutter und Sohn (G 884) und Vor Sonnenaufgang – Paar auf dem Balkon (G 887) sind Zeugnisse einer Selbstreflektion.

1928

Kirchner arbeitet vornehmlich an den Entwürfen für das Museum Folkwang. Beteiligung an einer Ausstellung der Neuen Secession in München. Mit sieben druckgraphischen Selbstbildnissen ist er auf der Ausstellung Künstler-Selbstbildnisse in unserer Zeit in der Galerie Franke in München vertreten. Er organisiert in Basel die Gedächtnisausstellung für Hermann Scherer. An der Biennale in Venedig wird im deutschen Pavillon Kirchners Gemälde Schlittenfahrt (G 713) ausgestellt. Bekanntschaft mit dem Ehepaar Hans Rohner (1898-1972) und Lotte Kraft-Rohner aus München, die ihn in Davos besuchen und in den Folgejahren als Modelle zur Verfügung stehen. Am 10. und 11. März Besuch von Ernst Gosebruch, der mit Kirchner über die Wandmalereien diskutiert. Die Nationalgalerie Berlin erwirbt das Gemälde „Eine Künstlergruppe: Die Brücke“ (1926/27; G 855). Erna reist für die Monate Mai und Juni nach Deutschland. Im Oktober Besuch des Berliner Kunsthändlers Ferdinand Möller (1882-1956). Kirchners Mutter stirbt am 23. Dezember. Die Malerei jenes Jahres steht ganz im Zeichen der Vorarbeiten für Essen. Neben vielen «Versuchen» stehen Hauptwerke wie Nackte Frauen auf Waldwiese (G 925) und Frau geht über nächtliche Strasse (G 922).

1929

Kontakte zur Pariser Galerie Jeanne Bucher. Erna Schilling fährt im Frühjahr nach Deutschland; ab diesem Jahr hält sie sich öfters, hauptsächlich aus gesundheitlichen Gründen, in Berlin auf. Im April/Mai Beginn des Briefwechsels mit dem deutschen Maler und Bauhausschüler Fritz Winter (1905-1976). Am 10. Juni überarbeitet Kirchner sein aus dem Jahre 1923 stammendes Testament. Möglicherweise Besuch der Ausstellung bauhaus dessau in der Kunsthalle Basel (April/Mai). Im Juni reist er über Zürich nach Deutschland. In Berlin und Essen Besuche bei Ferdinand Möller und Ernst Gosebruch. Im Sommer Besuch von Fritz Winter bei Kirchner. Im Spätjahr Wiederaufnahme der Korrespondenz mit Emil Nolde. Im Oktober Besuch des Münchner Kunsthändlers Franke in Davos. Keine Einzelausstellungen. Die Akte im Freien werden zum beherrschenden Bildmotiv Kirchners; Hauptwerke wie der Akt in Orange und Gelb (G 938) entstehen. Im Kunstblatt erscheint der bereits 1927 von Kirchner in Auftrag gegebene Aufsatz Gustav Schieflers E.L. Kirchners Entwürfe für Wandgestaltung in einem Festsaal des Folkwang-Museums; Wandmalerei und Miniatur im Werk E.L. Kirchners.

1930

Bekanntschaft mit dem Davoser Verkehrsdirektor Walter Kern (1898-1966), der Kirchner fortan publizistisch unterstützt. Tanzabende von Gret Palucca in Davos; Besuche der Tänzerin auf dem Wildboden. Die Katze Bobby, die auf vielen Bildern Kirchners dargestellt ist, stirbt zwölfjährig. Wenig Gemälde entstehen, darunter die wichtigen Werke Trabergespann (G 942), Liebespaar – Der Kuss (G 947) und das programmatische Bild Farbentanz I (G 948)

1931

Kleine Einzelausstellung in der Galerie Franke in München. Teilnahme an der Ausstellung German Paintings and Sculpture im Museum of Modern Art in New York und an der Ausstellung L’Art vivant en Europe in Brüssel. Nachfolgerin von Bobby wird die Katze Schacky. Für eine Aufführung des gemischten Chors von Frauenkirch fertigt Kirchner wieder Kulissen und Vorhänge. Mitte Juni reist er nach Frankfurt zu seinem Kunsthändler Manfred Schames; danach nach Berlin. Er wird zum Mitglied der Preussischen Akademie der Künste berufen. Erste Kontakte mit Dr. Max Huggler (1903-1994), dem Leiter der Kunsthalle Bern. Der zweite Band von Gustav Schieflers Die Graphik Ernst Ludwig Kirchners erscheint in Berlin. Erna wird in Berlin operiert.

1932

Am 1. Januar fährt Kirchner nach Berlin, um mit Erna am 8. Januar auf den Wildboden zurückzukehren. Die Situation des für Kirchner lebensnotwendigen Kunstmarktes in Deutschland wird immer ungewisser. Im März besucht ihn Alfred Döblin, der sich auf einer Vortragsreise durch Deutschland und durch die Schweiz befindet. Beunruhigung über die politischen Verhältnisse in Deutschland. Im Juli drängt Kirchner Dr. Bauer, ihm morphiumhaltige Medikamente zu verschreiben. Der Architekt Rudolf Gaberel aus Davos, Präsident der Davoser Kunstgesellschaft, regt an, ein wichtiges Werk Kirchners für die Gemeinde zu kaufen. Beginn der Vorarbeiten für die bedeutende Retrospektive, die 1933 in der Kunsthalle Bern gezeigt werden soll. Letzte plastische Arbeiten entstehen. Hauptwerke dieses Jahres sind Springende Tänzerin – Gret Palucca (G 960) und die Blonde Frau im roten Kleid – Bildnis Elisabeth Hembus (G 964). Daneben beginnt er die Arbeit an den Farbholzschnitten.

1933

Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern. Im Katalog zur Ausstellung erscheint der letzte Aufsatz unter dem Pseudonym Louis de Marsalle, den Kirchner für tot erklärt. Bekanntschaft mit dem französischen Dichter und Surrealisten René Crevel (1900-1935), der sich aus gesundheitlichen Gründen in Davos aufhält. Kirchner beschäftigt sich jetzt ausgiebig mit dem Bogenschiessen. Nach dem Wahlerfolg der Nationalsozialisten zunehmende Irritation über die deutsche Kulturpolitik. Aber noch immer werden auch von der öffentlichen Hand Werke Kirchners angekauft. Kirchner wird aufgefordert, auf seine Mitgliedschaft in der Preussischen Akademie zu verzichten. Er arbeitet hauptsächlich an Farbholzschnitten. In Briefen an seine Freunde beklagt sich Kirchner über die Platzverhältnisse im Wildbodenhaus, die ihm nicht erlaubten, seine grossen Formate zu realisieren.

1934

Ernst Gosebruch wird als Direktor des Museums Folkwang entlassen. Damit zerschlagen sich die Hoffnungen auf eine Realisierung der Entwürfe. Der Bauhauskünstler Oskar Schlemmer (1888- 1934), den Kirchner seit 1914 kennt, besucht ihn in Davos. Im Mai Holzschnitt-Ausstellung in der Galerie Commeter in Hamburg. Ende Mai/Anfang Juni Besuch der Ausstellung des Schweizer Malers Otto Meyer-Amden (1885-1933) in Bern. Dort lernt Kirchner Paul Klee (1879-1940) kennen. Im September Besuche von Carl Hagemann und dem neuen Sammler Budczies. Es entstehen wenige Gemälde, darunter Akte im Wald (G 970).

1935

In Bern Besuch einer Ausstellung mit Werken von Paul Klee. Am 20. Februar schreibt Kirchner aus Bern an Erna: «Ach, ich will malen, wenn ich zurückkomme, grosse Bilder, ich bin Wandmaler.» Vom 12. Mai bis zum 23. Juni werden Aquarelle und Zeichnungen Kirchners im Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel gezeigt. Bekanntschaft mit Christian Anton Laely (1913-1992), dem letzten «Schüler» Kirchners. Der Frankfurter Beckmann-Schüler Karl Tratt (1900-1937) besucht Kirchner anlässlich seines Kuraufenthaltes in Davos. Der Basler Chemiker Jacob Bosshart beginnt, Werke von Kirchner zu sammeln. Die deutsche Kolonie in Davos, zu welcher der Künstler kaum Kontakt pflegt, bekennt sich mehr und mehr zu den nationalsozialistischen Parolen. Kirchner beschäftigt sich kurzfristig mit dem Plan, die Kirche in Frauenkirch auszumalen; geplant sind unter anderem Szenen aus der Apokalypse. Er fertigt wieder mehr Gemälde, vor allem Stadtansichten, Sportszenen und Interieurs. Programmatisches Hauptwerk dieses Jahres ist die Balkonszene (G 989).

1936

Kirchner erfährt von der Auflösung des Deutschen Künstlerbundes. Der Kunsthändler Curt Valentin besucht noch vor seiner Emigration in die USA Kirchner in Davos. Der Direktor des Detroit Institute of Art, Wilhelm R. Valentiner (1880-1958), bietet dem Künstler eine erste Einzelausstellung in den USA an. Das Kunsthaus Zürich fragt bei ihm wegen einer Einzelausstellung graphischer Arbeiten an. Bekanntschaft mit dem englischen Dichter Llewelyn Powys (1884-1939). Kirchner klagt über schmerzhafte Darmprobleme; als Schmerzmittel nimmt er ein morphiumhaltiges Medikament. Vier düstere Landschaftsbilder bilden die wichtigste Gemäldegruppe dieses Jahres (G 995-998). Im Sommer schnitzt er für das Portal des neuen Schulhauses in Davos Frauenkirch, das am 18. Oktober eingeweiht wird, ein fünffiguriges Relief. Der Sammler Hagemann besucht ihn im September. Im Dezember meldet sich Lucas Lichtenhain, der Konservator der Basler Kunsthalle, bei Kirchner, um eine Ausstellung für den Sommer 1937 vorzubereiten.

1937

Ausstellung im Institute of Art in Detroit. Im Spätjahr Ausstellung in der Buchholz Gallery Curt Valentin in New York. Alfred Barr vom Museum of Modern Art meldet sich bei Kirchner. Vom 30. Oktober bis zum 27. November Ausstellung in der Kunsthalle Basel. Ab 30. Juni wird in Deutschland die diffamierte «Entartete Kunst» beschlagnahmt und auf einer Ausstellung, die bis 1941 durch verschiedene Städte des Reiches wandert, vorgeführt. Von Kirchner werden 639 Werke aus den Museen entfernt und später teilweise ins Ausland verkauft oder zerstört. Ende Juli wird Kirchner aus der Preussischen Akademie ausgeschlossen. Er überlegt, die schweizerische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Als Hauptwerke dieses Jahres gelten die beiden Interieurs, die das Wildbodenhaus zeigen (G 1002 und 1003) und das Abschiedsbild Hirten am Abend (G 1008).

1938

Der Anschluss Österreichs an Deutschland am 13. März fördert bei Kirchner die Angst, die Deutschen könnten über die österreichische Grenze in Graubünden einmarschieren. Er zerstört teilweise seine Druckstöcke und einige der Skulpturen, die sein Haus umgeben. Zu Kirchners 58. Geburtstag am 6. Mai trifft keine Gratulation aus Deutschland ein. Am 10. Mai beantragt er bei der Gemeinde Davos das Aufgebot für die Eheschliessung mit Erna. Am 12. Juni zieht er diesen Antrag wieder zurück. Am 15. Juni erschiesst er sich. Als letztes Bild steht auf Kirchners Staffelei das melancholische Gemälde Schafherde (G. 1024). Am 18. Juni wird er auf dem Waldfriedhof in Davos, in unmittelbarer Umgebung seines letzten Wohnortes, beerdigt. Erna Schilling, die amtlich den Namen Kirchner führen darf, lebt noch bis zu ihrem Tod am 4. Oktober 1945 im Wildbodenhaus.

Biographie-Text: © Kirchner Museum Davos, 2016

Über die Zeit auf Fehmarn schreibt Kirchner:

„ … hier lernte ich die letzte Einheit von Mensch und Natur zu gestalten und malte Bilder von absoluter Reife.“

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E. L. Kirchner-Dauerausstellung

Im Dachgeschoss der Stadtbücherei werden neben Rekonstruktionen einiger Fehmarnbilder Kirchners in Originalgröße auch Postkartenkopien, Fotos und Auszüge (Kopien) aus verschiedenen Skizzenbüchern des Künstlers ausgestellt.

Obergeschoss der Burger Stadtbücherei

Bahnhofstraße 47, 23769 Burg auf Fehmarn

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Öffnungszeiten

Montag: 9:30 – 13:00 sowie 14:00 – 16:00 Uhr
Dienstag: 9:30 – 13:00 sowie 14:00 – 18:30 Uhr
Mittwoch: 9:30 – 12:00
Donnerstag: 9:30 – 13:00 sowie 14:00 – 18:30 Uhr
Freitag: 9:30 – 13:00 sowie 14:00 – 16:00 Uhr

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Kostenlose Führungen

In den Sommermonaten werden von Anfang Juli bis Ende September jeweils am Sonntagvormittag um 11:15 Uhr kostenlose Führungen angeboten (kostenlos und ohne Anmeldepflicht).

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